Hm ... nachdem ich nun Torchwood "durch" geguckt habe, würde ich mich gerne mit euch zusammen ein wenig mit den Charakteren beschäftigen.
Denn irgendwie sind die ganzen Aliens und Phänomene nett, aber letztendlich läuft es immer wieder auf die Charaktere hinaus.
Zunächst einmal gefällt mir, dass in der Serie das Konzept der "flawed characters" zum Tragen kommt. Der "reine" Held ist zwar auch interessant, aber doch auch weitaus weniger betrachtenswert, als einer dieser "flawed characers".
Einer der Punkte, die für mich einen erheblichen Unterschied zu "Doctor Who" ausmachen, ist gerade dieser Punkt. Der Doctor ist "flawless", er trifft zwar manchmal Entscheidungen, die schwer und schmerzhaft sind, aber am Ende sind sie immer "for the greater good" und moralisch einwandfrei. Ebenso gilt das weitgehend für seine Companions. Der Doctor selber ist zwar komplex und voller Tiefe, aber eher durch einen bedrückenden Hintergrund, permanente Selbst-Aufopferung anderer, netter Charaktere und moralische Last der Vergangenheit, als durch aktuelle Entscheidungen, die moralisch fragwürdig oder gar egoistisch sind.
Anders die Torchwood-Charaktere, die alle irgendwann am Rad drehen und aus der Spur laufen. Aus verständlichen Gründen, aber eben doch aus teilweise recht fragwürdigen Motiven oder rein egoistischen Beweggründen.
Eben "flawed characters". Wobei es mir gefällt, dass die Autoren den Unterschied zu "dysfunctional characters" sehr gut kennen und die beiden Typen nicht planlos verwechseln. Owen erscheint mir manchmal hart an der Grenze zum "dysfunctional character", bzw. überschreitet diese Grenze auch schon mal, aber das scheint von den Machern durchaus beabsichtigt.
Wenn man sich die Charaktere im Detail anguckt, würde ich gerne mit Jack anfangen, weil er doch der dominanteste der Charaktere zu sein scheint. Ich hab mir dazu ein paar ungeordnete Gedanken gemacht (keine Ahnung, ob das hier richtig aufgehoben ist, oder ob ich dazu einen eigenen Thread aufmachen soll, oder ob ich damit hier komplett daneben bin), die ich gerne mit euch diskutieren würde.
Jack Harkness - Versuch einer AnalyseWie schon in einem der Episodentreads angefangen, möchte ich den Charakter "Jack Harkness" gerne etwas näher beleuchten, denn er ist in meinen Augen der schillerndste und komplexeste, aber auch tragischte Charakter der Serie. Wohl auch, weil er schon in "Doctor Who" angelegt wurde und von Allen die meiste Zeit hatte, sich zu entwickeln. Dieser "Vorlauf" gibt ihm die Chance, mehr Tiefe zu zeigen, als die anderen Charaktere es können.
Damit will ich den anderen Charakteren keine Tiefe oder Komplexität absprechen, nur sehe ich sie nicht so ausgeprägt dargestellt, wie bei Jack.
Bruchstückhafte Blicke in Jacks Vergangenheit bringen auch nur fragmentarischen Aufschluss über das, was den Charakter ausmacht. Weit in der Zukunft geboren, ist er ein "time agent", was auch immer das bedeutet (scheinbar eine zukünftige intergalaktische Organisation, die Dinge im Zeitablauf überwacht?), kommt vom Weg ab, wird Betrüger (scheinbar recht erfolgreich), trifft den Doctor, stirbt, wird von Rose wiederbelebt und dadurch unsterblich.
Im Gegensatz zum Doctor ist er nicht uralt, hat aber wohl in seinem Leben unverhältnismäßig viel erlebt.
Was bedeuten diese Informationen für den Charakter?Auf jeden Fall ist er traumatisiert durch die Wiederbelebung, muss lernen, mit dem unbekannten Konzept der Unsterblichkeit zu leben. Damit wird er zu einer tragischen Figur, die ersteinmal ihren Platz in diesem Konzept finden muss. Auch wenn er die Tatsache mit Charme und Flappsigkeit zu überspielen versucht, gibt es immer wieder Momente, in denen das nicht vollständig überzeugend wirkt.
Dagegen steht seine hochgradig charmante, charismatische Ausstrahlung, die sicherlich durch das tragische Element seines Charakter unterstützt wird.
Charisma ohne wirkliche Tiefe ist unattraktiv, wenigstens dann, wenn es über eine längere Zeit geht. Und man kann über Jack vieles sagen, aber unattraktiv ist er zu keiner Zeit.
Er scheint durch seine charmante, leichtherzige Art locker mit der Situation umzugehen, aber kleine Spotlights lassen einen ahnen, dass da viel mehr ist.
Wo also ordnen wir diesen Charakter ein?Angelegt scheint er mir als klassischer Antiheld.
Zitat:
Ein Antiheld (Gegenheld) ist ein Figurentypus der darstellenden Kunst (Literatur, Film oder Comic). Während die dramatische Hauptfigur (der Protagonist) einer Geschichte durch ihre überlegene Charakter-, Verstandes- oder moralische Stärke zur Identifikation einlädt, ist es beim Antihelden gerade eine Schwäche, die sympathisch wirkt. Er ist etwa moralisch stark, aber verstandesschwach wie Don Quijote oder Simplicius Simplicissimus. In der moderneren Literatur gelten [...] Antihelden brechen mit der Möglichkeit des Eskapismus, bei der der Leser seine Wunschträume auf die Hauptfigur projizieren kann, genauso stark, schön, tapfer oder klug zu sein wie der Held der Geschichte. Dafür sind Antihelden in der Regel die vielschichtigeren, tiefer und exakter gezeichneten Charaktere, da sich hier auch Verletzungen und Schwächen einer Figur darstellen lassen. Schließlich lassen Antihelden auch Komik auf Kosten der Hauptfigur zu, denn sie sind potentielle Narren (Komödie). So können diese auch parodistisch eingesetzt werden. (Wikipedia)
Im Verlauf entwickelt er Tendenzen zum "byronic hero", was ich ziemlich interessant finde.
Zitat:
Der Byronische Held hat die folgenden Eigenschaften: Hochintelligent und perzeptiv, gewieft und anpassungsfähig, oft weltgewandt und hochgebildet, selbstkritisch und introspektiv, mysteriös, magnetisch und anziehend, kämpft mit Integritätsfragen, verführerisch und sexuell attraktiv, dominant in sexuellen Beziehungen und Interaktionen mit Menschen, widersprüchliche Gefühle mit bipolaren Tendenzen, Launenhaftigkeit, Ablehnen sozialer Institutionen und Normen, ein Außenseiter, oder Ausgestoßener, hat „dunkle“ Eigenschaften, die man normalerweise nicht mit einem Helden in Verbindung bringt, wenig Respekt vor Rang und Privilegien, eine belastete Vergangenheit, er ist zynisch, schwierig und / oder arrogant, oft selbst-destruktiv, Einzelgänger, oft von der Gesellschaft abgelehnt.
(Hier verwende ich die freie Übersetzung einer Bekannten von mir, die (wie ich auch) die deutsche Wiki-Version für zu restriktiv und weniger zutreffend empfindet)
Was also ist Jack?Definitiv als Antiheld angelegt, entwickelt er sich in meinen Augen zu einer Vermischung verschiedener Heldentypen. Und gerade die Kombination aus Antiheld und byronischer Held ist sehr interessant und bietet Raum für multiple Interpretationen.
Auch stellt er eine zusätzliche Besonderheit dar, da er in "Who" als Antiheld angelegt wurde und einen Gegenpart zum Doctor bildet. In "Torchwood" hingegen avanciert er zur Hauptfigur, die Charakteranlage bleibt jedoch bestehen, so dass er ein Gegenpart zu etwas ist, das nicht existiert (zumindest nicht aktiv in das Geschehen eingreift). Das setzt ihn in eine merkwürdige Position.
Erscheint er vielleicht deshalb manchmal so eigenartig bezuglos?
Ein Gegenpart ohne Part, zu was macht das Jack?
Seine bruchstückhaft erkennbare Vergangenheit verleiht ihm Tiefe, macht ihn für sich selber gesehen konsistent, aber wo ordnet man ihn zwischen den anderen Charakteren ein?
Im Thread zur Episode "Countrycide" wurde angemerkt, dass sein finaler Auftritt unpassend "heldenhaft" wirkte, und das passt eigentlich genau in diese Fragestellung. Wirkt er deshalb so unpassend in der Heldenszene, weil er eigentlich nicht der "Held" ist, sondern eben der Antiheld? Wirkt die Szene deshalb aus der Reihe fallend, weil das die Szene für "den Helden" gewesen wäre und dadurch, dass der Antiheld sie ausgeführt hat, wirkt sie merkwürdig deplaciert? Oder Jack wirkt in ihr deplaciert?
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Dynamik des Charakters in der Gruppe.
Auffällig ist die Häufigkeit, mit der der Zuschauer sieht, wie Jack das, was ihm nahe geht, ihn verletzt, mit sich alleine ausmacht.
Es macht den Charakter sowohl stark, als auch verletzlich in der Sicht des Zuschauers. Einerseits ist es eine Eigenheit des Heldentypus "einsamer Streiter", andererseits ist es für die Mitcharaktere, auch stellvertretend für den Zuschauer, schwer erträglich, ein solches Verhalten zu sehen.
Für Jack ist es leichter, für den Rest des Teams ist es schwer. Es ist immer leichter, selber zu leiden, als auszuhalten, dass Menschen, die einem nahe stehen, hilflos das eigene Leid miterleben müssen.
So, ich hör jetzt hier erstmal auf, sonst liest niemand mehr den ganzen Wust ...
Wenn ich zu viel schwafele, schickt mich einfach in die albernen Spamthreads, da kann ich mich auch gut ausleben. *lach*
es grüßt
Avarra